Eine schwierige Anreise

Schon seit längerem auf meiner To-Do-Liste stand das dänische Straßenbahnmuseum Sporvejsmuseet Skjoldenæsholm. Nur liegt dieses derart abgelegen, dass kein Linienbus hin fährt. Wie also hinkommen?
Flextur nutzen, schlägt der für Reisen in Dänemark unverzichtbare Rejseplanen vor, eine Art Anrufsammeltaxi. Dänen können das online direkt via App buchen, als Tourist bleibt einem aufgrund fehlender „MitID“ aber nur eine Buchung per Telefon.
Erster Versuch: es gibt eine Menüoption für Englisch, daraufhin wird man zwar trotzdem auf Dänisch zugetextet aber nach kurzer Wartezeit habe ich tatsächlich jemand an der Leitung. Die Herausforderung, dänische Namen korrekt auszusprechen umgeht man mit Buchstabieren, trotzdem kann der Mitarbeiter die Fahrt nicht buchen. Nach 10 Minuten findet er heraus, dass ich ja innerhalb Sjællands fahren will, die Nummer aber die von Midttrafik sei, also etwa für Fahrten rund um Aarhus. Yawn.
Zweiter Versuch: die richtige Nummer kennt zwar keine Englisch-Option aber mit blinder Auswahl und sturem Warten bekommt man trotzdem jemanden in die Leitung, Englisch ist auch kein Problem. Da man zwei Stunden vorher buchen muss, bestelle ich die Rückfahrt nach Schätzung, wie lange wir brauchen, gleich mit. Die Dame weist noch darauf hin, dass die Fahrt 90 DKK kosten würde, etwa €12, die in bar zu bezahlen seien. Nanu, Barzahlung, wenn das normale Taxis sind, haben die doch bestimmt auch Kartenleser?

Die buchbaren Zeiten stimmen nicht ganz mit den Schätzungen aus Rejseplanen überein, aber dann kommt tatsächlich pünktlich um 12:40 ein Auto mit Schild „Flextrafik“ zum Bahnhof in Hvalsø. Und es geht zwar tatsächlich nur Bargeld, aber die Fahrerin ist nett, sie lässt mich unterwegs kurz an einem Geldautomaten halten, der aber nur einen 500 DKK-Schein ausspuckt, auf den sie natürlich nicht wechseln kann. Die Museumskasse aber schon und so klappt der Hinweg schon mal ganz gut.
Per Straßenbahn zur eiligen Eiche


Vom Parkplatz an der Straße Skjoldenæsholm, wo man auch den Eintritt bezahlt, bringt uns der ehemalige Flensburger Straßenbahnwagen mit der Nummer 36 über ein kurzes Stück von 300 Metern in das eigentliche Museum. Dieses Gleis ist meterspurig, der weitaus größere Teil des Museums normalspurig.


Aus Erfahrung aus Malmköping wird dieses aber erstmal links liegen gelassen und sich stattdessen der Strecke gewidmet. Etwa 1,8km ist diese insgesamt lang und sie endet hier, an der Wendeschleife der Endhaltestelle „Eilers Eg“ (Eilers Eiche):

Wir finden hier aber nicht nur ein schwarz gestrichenes, hölzeneres Wartehäuschen, nein, auf einem gerade führenden Sackgassengleis ist ein ganz und gar nicht dänischer Straßenbahnwagen abgestellt, nämlich ein Duewag! Der kommt von der Düsseldorfer Rheinbahn, trägt die Nummer 2410 und dient als „Cafevogn“ (Kaffeewagen). Wobei „Kaffee“ etwas untertrieben ist, es gäbe auch „Sporvognsøl“, ein dem Anschein nach aus dem Thisted Bryghus stammendes Bier, aber ich verzichte lieber. Es gäbe auch Sandwiches und Souvenirs, aber erstere begeistern mich auch nicht so und letztere bekommt man auch später noch am Museum selbst.


Das Thema „Eigenes Essen“ hat man hier recht elegant adressiert: neben Picknickbänken gibt es hierfür einen weiteren, im Gegensatz zum „Cafevogn“ aber mangels Gleis nicht fahrbereiten ehemaligen Kopenhagener Straßenbahnwagen mit der anscheinend fiktiven Nummer 491.

Tramspotting
Was war nun mit „Erfahrung aus Malmköping“ gemeint? Dass man nicht nur mitfahren sondern auch Tramspotter spielen will, ist ja ganz okay, aber nicht in letzter Minute kurz vor Abfahrt! Hat natürlich wieder nicht so ganz geklappt, soviel sei bereits verraten, aber zunächst zu den Straßenbahnen: diese kommen auch hier natürlich in kurzer Folge vorbei, so zum Beispiel Nummer 929 der „Nordsjællands Elektricitets- og Sporvejs Aktieselskab“, die mal vom nordöstlichen Kopenhagener Stadtteil „Tuborg“ entlang der Strandvejen nach Klampenborg fuhren, heute Endpunkt der S-Bahn Linie C.

Eins vor der Endhaltestelle liegt die Haltestelle „Broen“, die sich natürlich mit ihrer historischen Litfaßsäule für Fotos gerade anzubietet, hier nochmal mit dem Kopenhagener Wagen Nr. 470:

Einen heute dank Öresundbrücke möglichen großzügigen Katzensprung an Internationalität sowie einen Wechsel von Holz zu Stahl machen wir dann mit dem folgenden Wagen 74 der ehemaligen Malmöer Straßenbahn:

Und weil er so schön mit der namensgebenden Brücke über die Waldstrecke zusammen spielte hier gleich nochmal:

Doppelt gemoppelt
Zurück im eigentlichen Museumsbereich wird auf einmal hoch gestapelt: der Kopenhagener Doppelstockwagen Nr. 22 wurde ursprünglich in 1900 bei FC Schultz als Akkuwagen gebaut, bereits zwei Jahre später aber auf Oberleitung umgerüstet. 1924 wurde der Aufbau entfernt, 1953 aus dem nunmehr einstöckigen Wagen ein Schleifwagen gemacht, im Museum dann das Erscheinungsbild aus 1915 wiederhergestellt.

Vielleicht ist das der Grund, warum das Ganze etwas zusammengeschustert bis albern aussieht, die Gegenstück im englischen Crich Tramway Village schienen mir da etwas mehr aus einem Guss.

Dem ein oder anderen mögen eben beim Bild vorher die vermeintlichen Geschäftsfassaden im Hintergrund aufgefallen sein — diese sind Fakes auf der einen Seite der Wand der dritten, anscheinend nicht öffentlich zugänglichen Remise. Einerseits nutzt man so die Wandfläche sinnvoll, andererseits sollen sie genauso wie die historischen Haltestellenschilder, Laternen, Litfaßsäulen, Mülleimer und Wartehäuschen das passende Ambiente für die historischen Straßenbahnwagen erzeugen. Ich finde, dies gelingt aber nur begrenzt, wenn die Straße einerseits geteert und andererseits so breit ist wie in dem Bild. In manchen Geschäften kommen zudem Schaufensterpuppen zum Einsatz, da wird’s dann teils etwas cringe.

Vorplatz und Remise 1
Vom Doppeldecker aus hat man natürlich einen schönen Überblick, so etwa aus der Wendeschleife auf den „Forpladsen“, dem Vorplatz des Museums vor der Remise 1 und der „Valby Gamle Remise“. Was ein bisschen aussieht wie ein Quellenhäuschen in einem Kurpark, ist tatsächlich der alte Telefonkiosk Nr. 1, der mal in Kopenhagen an der Ecke Frederiksberg Allé/Kingosgade stand. Dies ist das einzige erhaltene Exemplar des Vorläufers einer Telefonzelle, entworfen durch die Architekten IH Hjejle und Niels Rosenkjær in 1916. Inspiriert wurden die beiden durch den korinthischen Tempel der Venus in Baalbek im heutigen Libanon. Daneben steht mit dem Melbourner Wagen Nr. 965 das vielleicht am weitesten gereiste Museumsstück. Auf dem kurzen meterspurigen Stück ist zudem neben dem Flensburger Wagen Nr. 36 nun der Baseler Wagen Nr. 213 im Einsatz.


Die Remise 1 ist weniger Ausstellungshalle denn Werkstatt, von der der größte Teil verständlicherweise mit Ketten für die Öffentlichkeit abgesperrt ist, gibt es hier doch beispielsweise Gruben zur Arbeit unter den Fahrzeugen. Die Karte des Geländes auf der Webseite des Museums spricht davon, dass es hier auch ein kleines Café gäbe, tatsächlich finden wir aber neben Toiletten nur einen kleinen Raum mit Souvenir-, Eis- und Getränkeverkauf.
Auf einem Gleis steht wieder ein deutsches Exponat, nämlich der 1952 gebaute Wagen 3657 der Hamburger Hochbahn AG, original mit Zugziel- bzw. -verlaufsanzeige vom Hauptbahnhof über Dammtor, Winterhude und Alsterdorf zum Flughafen. Der ist prinzipiell fahrbereitet, vermutlich steht er hier nur zur Wartung. Nebenan dann ein weiterer Doppelstockwagen, Nr. 50 der Frederiksberg Sporveje aus 1915, der nur vier Jahre später von der Kopenhagener Straßenbahn als Nr. 419 übernommen wurde. Wenn die Fredriksberger Nr. 31 und Beiwagen Nr. 22 fertig restauriert sind, soll er auch wieder in das Kopenhagener Erscheinungsbild versetzt werden.



Neben der Remise 1 liegt die mehrgleisige Haltestelle „Valby Langgade“, von der die normalspurigen Straßenbahnen Richtung Endhaltestelle „Eiler Eg“ fahren. Sind wir aber ja schon, widmen wir uns lieber der eigentlichen Ausstellungshalle, der Valby Gamle Remise.

Die Ausstellung in der Valby Gamle Remise
Es handelt sich um die Original Wagenhalle, die in Langgade im Kopenhagener Stadtteil Valby stand und hier ihr bereits drittes Leben lebt, denn nach dem Ende der Kopenhagener Straßenbahn stand sie zunächst in Herlev und diente einem Holzhändler.

Das durch die Fenster fallende Licht und der helle Strich zwischen den Gleisen machen die Remise sehr freundlich, zumal der Eingangsbereich vorne zu den Toren her relativ frei gelassen wurde — möglich, dass auf dem mittleren Gleis über Nacht einige der Wagen stehen, die heute die Rundfahrten absolvieren. Die Klappstühle und Tische deuten darauf hin, dass hier evtl. auch Vereinssitzungen abgehalten werden.
Weiter hinten stehen die Bahnen etwas enger und somit schwieriger zu fotografieren. Neben den hier vorallem zu sehenden Kopenhagener Wagen steht mit Wagen 824 auch einer aus Den Haag sowie mit Wagen 797 einer aus Rostock. Vorallem fällt hier aber auf einmal so etwas grün-schwarzes modernes auf…




…und dabei handelt es sich um ein begehbares Modell in 1:1-Größe der zukünftigen Kopenhagener „Letbanen“. Richtig gelesen, die Straßenbahn kehrt zurück nach Kopenhagen! Und tut es gleichzeitig nicht, denn nicht als klassische Straßenbahn innerhalb der Stadt sondern als Stadtbahn-ähnliche Tangentialverbindung über 28km entlang der Straße O3 von Lyngby im Nordosten nach Ishøj an der südwestlichen Bucht von Køge ziehen wird.


Zum Einsatz kommen werden Gelenktriebwagen des Typs Siemens Avenio, die bis zu 80 km/h schnell fahren können. Leider scheint man auch hier wieder die Unsitte anzuwenden, die Sitzgruppen nicht an den Fenstern auszurichten. Derzeit finden Probefahrten statt, 2025 soll Eröffnung sein.

Die Bushalle „Bushallen“
Der Totengräber der Straßenbahn allenthalben war natürlich weit vor dem Individualverkehr der Omnibus (oder „Autobus“ im Abgrenzung zum Schienenbus als vermeintlichen Retter der Nebenbahnen). In der Bushalle „Bushallen“ versucht das Sporvejsmuseet auch hier einen umfassenden Überblick von der Pferdekutsche über den Trolleybus bis hin zu noch mal gar nicht so alten Dieselbussen und dem Kleinbus des On-demand-traffics Flextur.

Das alles übersichtlicher als die Straßenbahnen denn von den gummibereiften Plagegeistern hat man zum Glück weit weniger. Also nicht, dass alte Busse jetzt völlig uncool sind, aber es fehlt halt was: die Schiene.




Von der Odyssee zurück in die Zivilisation…
Apropos Busse, es ist langsam Abreisezeit, wäre es nicht praktisch, wenn so ein historischer Bus zwischen dem nächsten Bahnhof und dem Museum pendeln würde? Das tun sie tatsächlich manchmal, allerdings nur im Sommer und nicht etwa am Wochenende, wo die meisten Besucher kommen dürften, sondern in der Regel an Donnerstagen!


Aber wir haben ja den „Flextrafik“ auch für den Weg zurück bestellt und zwar für 16:15. Ein gewisser Jemand muss aber ja noch unbedingt auch den Doppelstockwagen im Wald ablichten, obwohl er nachher kein einziges Bild davon hier verwerten wird, und so herrscht etwas Eile, denn wir befürchten, dass unser Flextrafikauto zurück schon da ist und ohne uns fährt.
In der Eile rutsche ich dann auf nassem Gras aus und knalle auf die linke Seite mit Becken und Ellbogen. Oida! Das schmerzt und hinterlässt neben Kratzern und Schürfwunden auch länger andauernde blaue Flecken, zudem sind Hose und Pulli jetzt voller Dreck.
Ich schleppe mich dann trotzdem zur Straße aber es kommt und kommt nichts. War das Auto etwas schon da? Also angerufen, die Rufzentrale ist ja zum Glück zu dieser Zeit noch besetzt und stellt mich zum Fahrer durch. Dieser spricht allerdings nur gebrochen Englisch und dem Anschein auch nur wenig Dänisch, vor allem aber ist er irgendwo, nur nicht hier und es scheint, als wüsste er auch nicht wirklich, wo er stattdessen ist. 15 Minuten und Fremdhilfe durch jemand anders braucht es, bis er endlich den richtigen Ort gefunden hat… und das, obwohl die Adresse ja vorher bei der Bestellung des Flextrafiks mit übermittelt wurde.
Nuja, nobody’s perfect, Hauptsache wir kommen da weg und er beschwert sich auch nicht, dass ich sein Auto etwas einsaue. Und mit Fussball hat man dann natürlich angesichts der laufenden EM auch gleich ein Gesprächsthema…
Und, lohnte sich denn nun der Besuch im Museum? Aber selbstverständlich!